Quatember, Heft 2 | 2021
Helmut Schwerdtfeger, Sabine Zorn, Matthias Gössling
i.A. der Evangelischen Michaelsbruderschaft, des Berneuchener Dienstes und der Gemeinschaft St. Michael. Roger Mielke (Schriftleitung)
Quatember 86 (2022) 2
Dass der Wein »des Menschen Herz erfreut« (Ps 104,15) ist biblisches Gemeingut, allerdings auch die Kehrseite. Die Mahnung »Nicht den Königen ziemt es Wein zu trinken« (Spr 31,4) wird zugespitzt durch die drastische paulinische Mahnung »Sauft euch nicht voll Wein« (Eph 5,18). Die Ambivalenz von Rausch und Nüchternheit, von mystischer Ekstase einerseits und Wachsamkeit mit Sinn für Distanz andererseits gehört zu den grundlegenden Spannungen der Glaubenserfahrung. Augustin prägte dafür das Oxymoron der »nüchternen Trunkenheit« (sobria ebrietas). Heinrich Heine klagte die Kirchenleute seiner Zeit an: »Ich weiß, sie tranken heimlich Wein. Und predigten öffentlich Wasser.« Heute gilt wohl eher das Gegenteil: Man predigt Wein, hat aber eher Wasser zu bieten, einen erfahrungsarmen Glauben ohne Würze und Geschmack. Das ...