Christoph Markschies
Wenn aus der Perspektive des jüdisch-christlichen Dialogs auf das Reformationsjubiläum 2017 geblickt wird, geht es meist um die Frage, wie die evangelischen Kirchen mit den antijüdischen Äußerungen Martin Luthers und ihrer antisemitischen Wirkungsgeschichte umgehen sollen.
Die reformationsgeschichtliche Forschung hat gezeigt, dass das klassische Modell einer Zweiteilung von Luthers Schriften in eine eher judentumsfreundliche und eine eher judentumsfeindliche Phase historisch nur begrenzt trifft. Gremien der evangelischen Kirchen, insbesondere die Synode der EKD, haben sich in Erklärungen mit den problematischen Äußerungen Luthers und anderer Reformatoren beschäftigt.
In dem hier publizierten Text des angesehenen Berliner Theologen Christoph Markschies, der auf den Eröffnungsvortrag der Woche der Brüderlichkeit in Berlin 2016 zurückgeht, wird nochmals gefragt, wie trotz der Bürde des reformatorischen Antijudaismus Grundeinsichten der Reformation, insbesondere das emphatische Votum „Allein die Schrift!“, für den heutigen jüdisch-christlichen Dialog fruchtbar gemacht werden können. Denn es gilt, den Reichtum der ganzen Bibel und insbesondere ihrer unübersehbaren jüdischen Dimensionen zu entdecken und zu bewahren.
Mit diesem Beitrag beginnt das renommierte Berliner „Institut Kirche und Judentum“, das im Jahre 2005 die Buber-Rosenzweig-Medaille erhielt, eine kleine Zusatzserie seiner Reihe „Studien zu Kirche und Israel“, in der vor allem allgemeinverständliche Texte zu aktuellen Anlässen veröffentlicht werden.
[The Anniversary of the Reformation in 2017 and the Jewish-Christian Dialogue]
When the anniversary of the Reformation in 2017 is considered from the perspective of the Jewish-Christian dialogue it mostly comes to the question how the Protestant Churches deal with Luther’s anti-Jewish statements and its anti-Semitic impacts in history. Research in the history of the Reformation has shown that the classical model of a division of Luther’s works in a phase of a friendly attitude towards Judaism and a phase of a hostile attitude has historically only a limited validity.
The present text by the renowned Berlin theologian Christoph Markschies addresses the question how in spite of the burden of reformatory anti-Judaism, basic insights of the Reformation – particularly the emphatic affirmation “sola scriptorum” – can be made fruitful for the current Jewish-Christian dialogue. It is important to discover and preserve the riches of the whole Bible, especially its conspicuous Jewish dimensions.
Zum Autor
Christoph Markschies, Dr. theol. Dres. h.c., Jahrgang 1962, studierte Evangelische Theologie, klassische Philologie und Philosophie in Marburg, Jerusalem, München und Tübingen. Nach Professuren in Jena und Heidelberg lehrt er seit 2004 Patristik an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.
Markschies ist Träger des Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft 2001 und Mitglied der Akademien der Wissenschaften zu Berlin, Erfurt, Heidelberg und Mainz, der Academia Europea und der Europäischen Akademie der Künste und Wissenschaften sowie der Academia Ambrosiana in Mailand und des Deutschen Archäologischen Instituts. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der orthodox-theologischen Fakultät der Lugian-Blaga-Universität Sibiu/Hermannstadt (2007) und der theologischen Fakultät der Universität Oslo (2011). Seit 2010 ist Markschies Vorsitzender der Kammer für Theologie der EKD.