Jörg Dierken
»Fortschritt« ist ein ambivalenter Schlüsselbegriff des Geschichtsdenkens von Aufklärung und Moderne. Er ist untrennbar von allem zielorientierten Handeln. Gleichwohl steht der Fortschritt heute im Schatten seiner krisenhaften Folgen in Ökologie, Technik und Politik. Auch in Kultur und Religion ist er umstritten.
Erzählungen der Religionsgeschichte von den »primitiven« Anfängen hin zu einer gestuften Skala von Hoch- und Kulturreligionen mit dem Christentum als Gipfel müssen sich fragen lassen, ob sie nicht nur eurozentristische Behauptungen sind. Doch auch relativistische Konzepte der Gleichgültigkeit aller Religionsformen entkommen der Fortschrittskategorie nicht. Schon die Abweisung unerwünschter Phänomene zeigt, dass kein Verständnis der Pluralität von Religionen perspektivischen Werturteilen zwischen »besser« und »schlechter« entkommen kann.
Durch Aneignung einer Denkfigur aus der Aufklärung plädiert das Buch für einen reflektierten Gebrauch der Fortschrittskategorie, der zugleich die Verschiedenheit der gegenwärtigen globalen Religionskulturen anerkennt.
[Progress in the History of Religion?
Appropriation of a Concept of Enlightened Thought]
»Progress« is an ambivalent key term in the historical thinking of the Enlightenment and Modernism. It is inseparable from any goal-oriented action. And yet today the term is overshadowed by the crises it has triggered in ecology, technology and politics. In the realms of culture and religion it is treated controversially as well.
Narratives of the history of religion from its »primitive« beginnings to a graded scale of sophisticated forms of high religion with Christianity as their summit have to face the question whether they are not merely Eurocentric postulates. But relativist concepts claiming equal validity for all forms of religion cannot escape the concept of progress either. Even the rejection of unwanted phenomena shows that no interpretation of the plurality of religions can avoid biased value judgments of »better« and »worse«.
By illuminating a thought concept of the Enlightenment, this book advocates a reflective use of the concept of progress which accepts the differences between the current global religious cultures.
Zum Autor
Jörg Dierken, Dr. theol., Jahrgang 1959, studierte von 1977 bis 1984 Evangelische Theologie und Philosophie in Göttingen, Heidelberg und Frankfurt am Main. Nach Promotion und Habilitation wurde er 1995 Professor für Systematische Theologie mit den Schwerpunkten Religionsphilosophie und Ethik in Hamburg, seit 2010 hat er eine Professur für Systematische Theologie (mit Schwerpunkt Ethik) in Halle (Saale) inne. Gleichzeitig ist Dierken Sprecher des sachsen-anhaltinischen Landesforschungsschwerpunktes »Aufklärung – Religion – Wissen. Transformationen des Religiösen und des Rationalen in der Moderne«.